Die Musik stoppt. “Bedanken und wechseln!” – höre ich die Anweisung unserer Forró-Lehrerin und merke, wie sich die Gruppe eilig an deren Umsetzung macht. Wann immer es geht, versuche ich auch in den Forró-Kurs an der Uni in Düsseldorf zu gehen. Seit etwa zwei Jahren tanze ich und bin motiviert, wie nie meine Fähigkeiten zu verbessern. Heute mache ich ausnahmsweise als Follower mit, weil zu viele Leader vor Ort sind. In der kleinen Runde gehe ich nun also eine Person weiter und bin somit wieder bei dem einzigen Mann in der Runde, der sich weigert, mit mir zu tanzen: “Ich würde gerne lieber Pause machen.”, sagte er im ersten Durchgang. Auch jetzt macht er keine Anstalten, von dieser Idee abzurücken. Ein bisschen komisch fühlt es sich schon an, wortlos am Rand zu stehen, während alle anderen weiter üben. Ob es daran liegt, dass ich der einzige männliche Follower im heutigen Kurs bin?
Diese Erinnerung an einen Tanzkurs vor vielen Jahren (ca. 2016) blieb mir im Gedächtnis. Währenddessen hat sich in der Forró-Szene viel getan. Mittlerweile ist es normal, dass Männer mit Männern tanzen. Diese Konstellationen stellen selten die Mehrheit dar, aber mittlerweile wird man schräg angeschaut, wenn man diese Tanzpaare schräg anschaut.
Natürlich zu Recht. Für mich als Gruppenleiter ist es inzwischen sogar ein kleines Alarmsignal, wenn eine Person nicht mit dem gleichen Geschlecht tanzen möchte. Aber ist dieses Alarmsignal berechtigt? Muss man beim Forró mit dem gleichen Geschlecht tanzen wollen?
Ist Tanzen Freundschaft oder Romantik?
Einige Zeit später, ich war bereits aus Düsseldorf weggezogen, hörte ich davon, dass eben jener Tanzpartner, der mir damals das Tanzen verweigert hat, reihenweise negativ im Umgang mit den Frauen aufgefallen ist. Das führte damals bis zu diversen Hausverboten in verschiedenen Städten. Erst als ich davon gehört hatte, wurde mir die Verbindung klar.
Sind also alle Männer, die nicht mit Männern tanzen wollen, auf Beutezug?
Halt. Mit solchen Schlüssen wäre ich super vorsichtig. Viele Männer berichten mir in unseren Kursen, dass es sich für sie am Anfang komisch anfühlt, so nah mit einem Mann zu tanzen. Spannend fand ich, als mir zuletzt auch eine Schülerin berichtet hat, dass auch sie als Frau es am Anfang gewöhnungsbedürftig fand, mit fremden Männern so eng zu tanzen. Der nahe Körperkontakt, gerade mit Männern, ist gewöhnungsbedürftig.
Auch sie brauchte einige Zeit, um damit vertraut zu werden. Ich fragte weiter herum und höre immer wieder Ähnliches. Auch mir ging es mit dem Kontakt am Anfang ähnlich. Überhaupt eng zu tanzen war für mich insgesamt die größere Hürde – mehr als (später) das Tanzen mit Männern. Aber genau deshalb kann ich gut nachvollziehen, wie sich andere dabei fühlen.
Man gewöhnt sich aber daran, vor allem wenn man immer wieder daran erinnert wird, dass es sich NUR um einen Tanz handelt. Das ist es, was ich in meinen Kursen auch immer wieder betone. Ein Tanz ist kein Date, sondern ein Tanz ist gemeinsames, respektvolles Bewegen zur Musik.
Nach mehreren Jahren geduldiger Überzeugungsarbeit meinerseits tanzt mein bester Kumpel aus Kindergarten-Tagen mittlerweile auch Forró. Er ist sogar schon richtig gut geworden und es macht mir riesig Spaß, mit ihm zu tanzen.
Man kann Forró sehr wohl und mit viel Freude auf einer freundschaftlichen Basis tanzen. Ich bin überzeugt, dass das für die Community dauerhaft die vorteilhaftere Basis ist. Ich plädiere dafür, die Umarmung als freundschaftliche Umarmung zu verstehen, nicht als eine romantische Umarmung. Alles andere führt auf lange Sicht zu Problemen im Kreis der entsprechenden Community.
Ich leugne nicht, dass es in einem Tanz in bestimmten Fällen „knistern“ kann. Natürlich kann es das (das kann es in fast allen anderen zwischenmenschlichen Begegnungen auch). Aber glücklicherweise muss es das nicht. Das wäre super anstrengend und niemand in einer festen Beziehung dürfte dann noch Forró tanzen.
Man muss sich beim Tanzen doch wohlfühlen, oder?
Aber stopp. Forró ist immer noch ein Wohlfühl-Tanz, oder? Sollten sich nicht alle wohlfühlen können beim Forró? – Hm. Beim Tanzen sollten sich alle wohlfühlen.
Wenn man sich in einem Tanz nicht wohlfühlt, sollte man den Tanz doch abbrechen? – Definitiv.
Kann man im Vorhinein schon wissen, dass man sich in einem Tanz mit einer bestimmten Person nicht wohlfühlen wird? – Auf jeden Fall. Zum Beispiel, wenn man mit einer Person schlechte Erfahrungen gemacht hat.
Sollte ich mit der Person trotzdem tanzen? – Ich finde nicht.
Aber wie ist es, wenn man sich mit einer ganzen Personengruppe (z. B. Männern) nicht wohlfühlt? – Hm. Jetzt wird es kniffliger. Das deutet für mich ein wenig auf Vorurteile hin. Oder auf eine Perspektive auf Paartänze, die das Tanzen nur mit Personen des bevorzugten Geschlechts vorsieht. Wenn man das bei sich selbst wahrnimmt, glaube ich wäre es ratsam sich zu überlegen, woran das liegt, dass man so empfindet. Man lernt nie aus und wir dürfen nie vergessen, wie viele unbewusste Vorurteile in unseren Köpfen herumschwirren.
Wenn sich die Person, mit der man tanzt, korrekt verhält, sollte man sich beim Forró wohlfühlen. Aber das heißt natürlich nicht, dass man sich auch wirklich wohlfühlt. Am Ende zählt eben das Gefühl.
Da ist es egal, ob dieses Gefühl von gesellschaftlichen Normen, einer tiefen Überzeugung, oder von anderen Gründen her rührt. Manchmal kann man die eigene Komfortzone lernen zu erweitern, oder Wahrgenommenes neu zu interpretieren, andere Male geht das vielleicht nicht.
Was sollten wir als Community, Kursleitende oder Tanzende tun, wenn das nicht funktioniert?
Was sind die Alternativen?
Angenommen, in meinem Kurs ist eine Person, die sich darauf festlegt, nicht mit Männern/Frauen/Diversen tanzen zu wollen. Welche Alternativen kann ich der Person und meiner Gruppe anbieten?
- Ich kann zu 100% nachgeben und richte mich nach der Einzelperson:
Ich gehe auf die Bedürfnisse der Person ein und arrangiere die Gruppe so, dass diese Person es einfach hat, immer mit der Personengruppe ihrer Wahl zu tanzen. Wenn andere Teilnehmende ähnliche Wünsche haben, muss ich darauf folglich auch eingehen. - Ich kann teilweise nachgeben:
Zum Beispiel könnte ich den Grundablauf für den Großteil der Gruppe beibehalten, räume der Person jedoch die Möglichkeit ein, die Kurse mit einem festen Tanzpartner oder einer festen Tanzpartnerin zu besuchen. Oder aber ich springe ein, sobald die Person auf eine*n ungewünschte*n Partner*in trifft und tanze mit diesem Partner. Auch hier sollte ich dann auf Extrawünsche anderer eingehen. - Ich bestehe darauf, dass alle mit allen tanzen:
Wer sich für unseren Tanzkurs anmeldet, sollte offen für neue Perspektiven sein, das impliziert bei uns mit allen zu tanzen. Wir sorgen jedoch dafür, dass man langsam an Körperkontakt herangeführt wird und ein respektvoller Rahmen geschaffen wird, in dem sich jede*r wohlfühlen kann. - Ich lasse die Gruppe entscheiden:
Ich argumentiere, stelle die Alternativen vor und lege beide Seiten dar, lege die Diskussion und Entscheidung jedoch in die Hände der Gruppe. Im Endeffekt läuft es aber auf eine der anderen drei Alternativen hinaus.
Lernen vorsichtig zu sein & freundschaftlich zu tanzen
Es ist eine schwierige Situation. Ich finde, wir sollten alles daran setzen zu lernen und zu lehren, wie man angenehm und auf freundschaftlicher Ebene mit anderen Personen tanzt. Ich bin bei Fremden zum Beispiel generell noch vorsichtiger als bei Tänzer*innen, mit denen ich schon oft getanzt habe. Das beinhaltet vielleicht ein bisschen weniger Kontakt, mehr Abstand und kaum Experimente. Unsere gesellschaftlichen Normen sehen nicht vor, dass Männer mit Männern tanzen. Man muss deshalb schon ein bisschen Verständnis und Geduld für ausreichend Erklärungen mitbringen.
Vorsichtig tanzen ist ratsam und das sollte, finde ich, mit jedem möglich sein (wenn die andere Person auch vorsichtig ist zumindest).
Ich würde sogar sagen, dass ich selbst mit Stephie immer auf rein freundschaftlicher Ebene tanze. Ein sehr erfahrener (brasilianischer) Forró-Botschafter sagte einmal in einem Kurs: „Die Tanzfläche ist ein heiliges Areal.“ Für mich bedeutet das, dass Romantik dort keinen Platz hat.
Fazit
Wenn solche Probleme auftreten, ist es immer sinnvoll, das Gespräch zu suchen – offen, respektvoll und sowohl mit der betroffenen Person als auch gegebenenfalls mit der Gruppe. Egal ob als Tänzer*in oder Gruppenleiter*in: Es ist wichtig, ein achtsames Miteinander zu fördern. Ein unabhängiges (und regelmäßig von der Gruppe gewähltes) Care-Team wäre für solche Situationen ideal, um ein verantwortungsbewusstes Umfeld zu schaffen. Es sollte fähig sein, der Kursleitung im Ernstfall zu widersprechen und handlungsfähig genug, um schlechte Regeln auszutauschen.
Gleichzeitig sollten bestimmte Perspektiven klar kommuniziert werden: Wenn sich eine Person nicht auf Kontakt einlassen möchte, ist Forró einfach nicht das Richtige für sie. Wenn sie nur mit einem Geschlecht tanzen möchte, hat sie vielleicht nicht die richtigen Absichten oder sieht den Forró anders als wir ihn sehen. Ohne Lernbereitschaft passt das dann nicht zu unserer Gruppe.
Das ist kein Problem. Forró ist nicht für jeden etwas, und mein Kurs schon gar nicht. Ich glaube, als Kursleiter*in muss man lernen generell selbstkritisch und zu bestimmten Zeitpunkten aber auch selbstbewusst zu sein. Ich glaube, dass der gemischte Austausch für meine Lernenden von elementarer Bedeutung ist, genauso wie das Verständnis und Respektieren freundschaftlichen Tanzens. Deshalb bestehe ich darauf und kalkuliere ein, dass ich manche damit nicht erreichen kann. Männer müssen nicht mit Männern tanzen wollen. Niemand muss überhaupt tanzen wollen! Ich möchte lediglich in meinen Kursen darauf aufmerksam machen, wie bereichernd es sein kann.
Habt ihr andere Ansichten? Ihr kennt mich – ich bin wie immer diskussionsbereit!
Responses