Gibt es beim Tanzen objektive Schönheit?

Ja, die gibt es (zumindest theoretisch). 

Das heißt ich glaube, dass Schönheit nicht im Auge des Betrachters liegt, sondern sie etwas Objektives an sich hat. Das bedeutet, sie kann unabhängig von Kulturen, Vorlieben und der menschlichen Biologie betrachtet werden. 

Auch wenn Du Dich gegen diesen Gedanken sträubst, vielleicht kannst Du Dich (zum Spaß) mal auf die Idee einlassen. Am Ende des Blogartikels wirst Du über die Art der Perspektive überrascht sein, die ich hier versuche zu vermitteln. 

Mein gewagtes Statement wirft vermutlich auch bei Dir alle möglichen Fragen und Widerstände auf. Deshalb versuche ich in den nun folgenden vier Absätzen die wichtigsten Fragen zu beantworten.

Welche Rolle spielt Schönheit beim Tanzen?

“Auf jeden Fall nicht die Hauptrolle”, sage ich meinen Schüler*innen in den Forró-Stunden. Aber das ist meine Philosophie, ‘meine’ Wahrheit – nicht DIE Wahrheit. 

Ich würde behaupten, dass es viele Tänzer*innen gibt, denen es sehr wichtig ist, wie ein Tanz aussieht – sowohl wenn sie selbst tanzen, als auch wenn sie einem Paar zuschauen. Diese Forrozeir@s betrachten (wissentlich oder nicht) den Forró als eine Form von Kunst. Unter diesen Gesichtspunkten existieren schönere und weniger schöne Kunstwerke, wie in einem Museum schönere und weniger schöne Kunstwerke ausgestellt werden. 

Das ist (natürlich) eine legitime Philosophie, deren Anhänger ich der Einfachheit ab jetzt Tanzkünstler*innen nenne. Tanzkünstler*innen bewerten es als Fortschritt, wenn sie ästhetischer tanzen und bewundern Tänze in erster Linie aufgrund ihrer Schönheit. Dagegen teilen sie keine Bewunderung für Tänze, die nicht schön sind. 

Den Tanzkünstler*innen stehen verschiedenen andere Philosophien entgegen, die Tanzen nicht als Kunstform verstehen. Eine davon ist zum Beispiel die der ‘Ausdruckstänzer*innen‘. Damit meine ich diejenigen, die Tanzbewegungen nicht aufgrund ihrer Ästhetik bevorzugen, sondern weil sie zu ihrem inneren Zustand passen. Diesen Zustand versuchen sie mit Bewegungen auszudrücken. Für sie besteht Fortschritt daraus sich vollständiger ausdrücken zu können und sie bewundern andere vor allem für ihren authentischen Ausdruck im Tanz (obwohl sie diesen nicht final bewerten können). Es ist also durchaus möglich, dass sie eine ‘hässliche’ oder ‘langweilige’ Bewegung als erstrebenswert betrachten, weil diese Bewegung ihren Emotionen Ausdruck verleiht. 

Es gibt sicher noch mehr Philosophien, aber diese beiden genügen um zu zeigen, dass es verschiedene gibt, unter welchen man auswählen kann. Dabei muss man sich nicht endgültig festlegen, sondern man kann zwischen den Philosophien hin- und herwechseln (zum Beispiel ein Tanz als Tanzkünstler*in, der nächste als Ausdruckstänzer*in). Schlussendlich muss man sich aber in jedem Moment für eine Philosophie entscheiden. Das bedeutet, jede*r Forrozeir@ entscheidet für sich selbst welche Rolle Schönheit im Forró für ihn oder sie spielt. 

Was spricht für objektive Schönheit?

Schönheit ist nicht eine Sache des Inhalts, sondern eine Sache der Form. Die gleiche Sache (z.B. ein Foto, oder eine Bewegung) kann schöner und hässlicher geformt sein. Das lässt vermuten, dass es eine hypothetische ‘Idealform’ gibt. 

Wenn Du mir noch nicht zustimmst, überlege mal: Gibt es einen objektiven Schönheitsunterschied zwischen jemandem der das erste Mal in seinem Leben tanzt, und einer Person, die auf viele Jahre Tanzerfahrung zurückblicken kann? Liegt die Schönheit hier wirklich im Auge des Betrachters? Oder wären hier nicht eher die meisten Menschen einer Meinung?

Aber (wirst Du vielleicht einwenden) nur weil die meisten Menschen in einer groben Unterscheidung zwischen schön und hässlich einer Meinung sind, heißt das nicht, dass wir halbwegs objektiv beurteilen können, ob etwas ästhetisch ist!

Das stimmt. Es fehlt eine Erklärung und dafür müssen wir uns kurz objektive Schönheit außerhalb des Tanzes anschauen: Warum sind Blumen schön? Warum die Blüten und nicht die Wurzeln? Warum finden wir Blumen schön, die wir noch nie zuvor gesehen haben? Der Quantenphysiker David Deutsch behauptet, dass objektiv ‘schöne’ Blumen einen Selektionsvorteil in der Co-Evolution mit Insekten hatten. Es musste zwischen den beiden grundverschiedenen Spezies ein Informationsaustausch stattfinden. Dieser Austausch wurde (nach der These von Deutsch) vereinfacht dadurch, dass beide in einer Welt mit absoluten Prinzipien der Schönheit lebten. Auf diese Prinzipien hatten sie keinen Zugriff, aber sie konnten sich (mit Variation & Selektion) in diese Richtung entwickeln. In dieser Welt lebt auch der Mensch. Auch der Mensch hat sich dahingehend entwickelt, absolute (= perfekte) Schönheit besser wahrnehmen zu können. Warum? Weil der Informationsaustausch zwischen zwei Menschen einem Informationsaustausch zwischen verschiedenen Spezies ähnelt (die nicht-angeborenen Informationen im menschlichen Gehirn sind mehr als in jedem tierischen Genom; zwei Menschen sind also so verschieden wie zwei unterschiedliche Spezies).  

Deshalb empfinden auch wir Menschen Blumen als schön. Wir können absolute Schönheit nicht perfekt erkennen, aber wir können trotzdem einige Aussagen über Schönheit treffen: Sie liegt nur insofern im Auge der Betrachtenden, insofern sie ein Fotograf oder ein Architekt besser und objektiver beurteilen kann, als jemand der sich damit nicht so viel beschäftigt hat. 

Ich gehe davon aus, dass sich diese Schlussfolgerungen auch auf andere Bereiche der Ästhetik ausweiten lassen. Wenn es um Bewegungen und Tanzen geht, hatten Menschen wahrscheinlich sogar einen gewissen Selektionsvorteil, wenn sie sich ‘schöner’ bewegen konnten, als Menschen, die sich nicht so schön bewegen konnten. Es ist also durchaus denkbar, dass sich die Bewegungen der Menschen über Generationen nicht nur funktionell verbessert haben, sondern auch ‘verschönert’ haben. 

Woher weiß man was absolut schön ist?

Man weiß es ebenso wenig, wie man in der Wissenschaft von ‘absoluten Wahrheiten’ sprechen kann, wenn es um die Naturgesetze geht. Ebenso wie von den Naturwissenschaftler*innen versucht wird physikalischen Gesetzen auf die Schliche zu kommen (mit immer besseren Erklärungen und mathematischen Gleichungen), versuchen Wissenschaftler*innen und Künstler*innen in Fachbereichen der Ästhetik immer bessere Schönheitskriterien zu entdecken und immer noch schönere Kunstwerke zu erschaffen. Der goldene Schnitt, oder generell Symmetrie sind Beispiele für solche Erklärungsversuche in der Ästhetik. 

Es gibt jedoch auch bei Expert*innen noch mehr als genug Diskussionsbedarf, weil auch diese noch weit (unendlich weit) von dem Wissen von absoluter Schönheit entfernt sind. Diese Diskussionen und das Erschaffen von neuer Kunst werden uns immer weitere Erkenntnisse bringen.

Warum sollte uns die Schönheit des Tanzes nicht egal sein?

Fortschritt ist nur uneingeschränkt möglich, wenn wir uns in die Richtung von absoluter Schönheit im Tanz bewegen. Diese absolute Schönheit ist unerreichbar und wird immer unerreichbar bleiben, aber wir können versuchen kreativ zu werden und uns auf sie zuzubewegen. Vielleicht ist diese Entwicklung sogar für Ausdruckstänzer*innen relevant: Mit einem definierteren Repertoire an ästhetischen und unästhetischen Bewegungen könnten sie sich wohl auch immer besser ausdrücken.

Für mich ist der tänzerische Anteil des Forró eine Art sozialer Ausdruckstanz. Deshalb bin ich auch gegen Wettkämpfe oder Prüfungen im Forró. Trotzdem spricht meiner Meinung nach nicht viel dagegen, die Schönheit von Tanzbewegungen zu entdecken. Das Bewusstsein für tänzerische Schönheit ist jedenfalls auch der Ausdrucksfähigkeit beim Tanzen eher zuträglich als abträglich.

Wie siehst Du das? Ich freue mich über Deine Meinung in den Kommentaren! 🙂

 

Das könnte Dich auch interessieren:

Responses